Gabi Zekina

Filmclips

Gabi Zekina

Kindheit und Jugend

Gabi Zekina kommt im Jahr 1965 in Bernau nahe Berlin zur Welt. Ihre Mutter arbeitet in der Produktion, später als Sachbearbeiterin. Ihr bulgarischer Vater ist Kraftfahrer. Zekina ist die älteste von drei Schwestern in einer schwierigen FamilienkonstellationOral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 00:02:30., wie sie sagt. Bis zu ihrem sechsten Lebensjahr wächst das Mädchen bei ihren kommunistischen Großeltern mütterlicherseits auf, zu denen sie auch später ein sehr inniges Verhältnis hat.

Die beiden prägen das Kind auch politisch. Der DDR-Mythos vom antifaschistischen WiderstandskampfOral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 00:02:30. habe in ihrer Familie tatsächlich gestimmt, erzählt Zekina. Ihr Großvater war nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verfolgt worden, weil er Vorsitzender des Kommunistischen Jugendverbands Bernau war. Es gab größere antifaschistische Widerstandskämpfer als meinen Großvater, aber für mich hat’s gereicht, um mich total zu prägenOral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 00:06:30., erzählt sie. Auch die Großmutter ist ein großes Vorbild – nicht zuletzt wegen des Frauenbilds, das sie verkörpert: Meine Großmutter hat grundsätzlich gesagt, wo es langgeht.Oral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 00:11:00.

Als Kind geht Zekina gern zur Schule und bekommt gute Noten. Sie ist Pionierin und engagiert sich als Jugendliche bei der Jugendorganisation FDJ. Dies ändert sich schlagartig, als sie ein Schulungslager für junge Funktionär*innen besucht: Da hatte ich so das Gefühl: Hier ist irgendwie eine Ansammlung von gestörten PersönlichkeitenOral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 00:21:00., erinnert sie sich. Zum ersten Mal stellt sich ihr die Frage: Geht’s hier eigentlich um Macht? […] Oder geht’s hier um eine Sache?Oral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 00:21:00.

Gabi Zekina

Erste feministische Kontakte

Nach der Schule möchte Zekina gern Philosophie studieren. Ihre Eltern unterstützen ihre Pläne nicht, in der Schule rät man ihr zum Lehramtsstudium. Widerstrebend nimmt sie den Vorschlag an und bewirbt sich an der Humboldt-Universität zu Berlin für die Fächer Pädagogik, Englisch und Deutsch.

Zekina ist die erste in ihrer Familie, die studiert. Die Orientierung im akademischen Umfeld fällt ihr zunächst schwer. Die Anglistik war wirklich fürchterlich zu der Zeit, also extrem partei- und Stasi-durchsetztOral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 00:25:00., erzählt sie. Im Vergleich zu ihren Kommiliton*innen pflegt die junge Frau einen unkonventionellen Lebensstil – ohne feste Beziehung, Kinder oder Karrierepläne. Erst nach und nach findet sie Anschluss bei anderen AußenseiternOral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 00:27:30. . Sie begegnet der Germanistin Hannelore Scholz, die sie für feministische Theorie begeistert und später ihre Diplomarbeit betreut. Im letzten Studienjahr kommt Zekina mit Frauengruppen außerhalb der Hochschule in Kontakt, unter anderem mit einer Frauengruppe in Fennpfuhl. Sie beginnt die Fäden zu knüpfenOral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 00:31:00. zwischen den Gruppen innerhalb und außerhalb der Universität. Als Zekina 1989 ihr Studium abschließt, ist sie in der Frauenszene Ostberlins angekommen: Ob ich mich immer so ganz zu Hause in allem gefühlt hab, will ich gar nicht sagen. Aber es war auf jeden Fall aufregend.Oral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 00:40:30.

Gabi Zekina

1989, die Lila Offensive und der UFV

Im Oktober 1989 gründen elf Frauen in einer Wohnküche die Frauengruppe Lila Offensive (LilO)Lila Offensive: Chronologie [ Zugriff am 23.03.2019 unter lilaoffensive.de/chronologie.html ] . Zekina ist eine von ihnen. Wir haben uns ausdrücklich gegründet, um uns in diese gesellschaftlichen politischen Umbruchsprozesse, von denen ja noch nicht klar war […], wo die in aller Kürze hinführen werden, einzubringenOral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 00:45:00., erzählt sie. Zusammen fordern die Frauen den Umbau einer sozialistischen Gesellschaft aus feministischer Sicht.Oral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 00:45:00.

Kurze Zeit später verdichten sich die Ereignisse. Auf der großen nicht-staatlichen Demo am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz ruft die LilO zur einem eigenen Frauenblock auf. Bereits zwei Wochen nach der Maueröffnung, am 23. November 1989, stellt sich die Frauengruppe erstmals öffentlich in der Gethsemane-Kirche im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg vor – und stößt auf große Resonanz. Noch am selben Abend schmieden die fast 200 Anwesenden Pläne für ein landesweites Frauentreffen, das in der Ostberliner Volksbühne stattfindet und in die Gründung des Unabhängigen Frauenverbands (UFV) mündet .

Gabi Zekina

Für den UFV am Runden Tisch und in der Stadtverordnetenversammlung

Für Zekina ist die Gründung des UFV zunächst eine Errungenschaft: Es war auf jeden Fall ein irres Erlebnis, diese tausenden Menschen am 3. Dezember in der Volksbühne zu erleben.Oral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 01:02:30. Sie beobachtet jedoch bald eine Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb des Verbands: Es kamen dann natürlich jede Menge Frauen aus etablierten Strukturen rein. Und die haben dann auch ganz schnell das Ruder übernommen.Oral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 01:03:00. Trotz ihrer Skepsis vertritt Zekina den Verband gemeinsam mit anderen Frauen am Ostberliner Runden Tisch . Sie ist überrascht, wie konstruktiv sie dort mit anderen zusammenarbeiten kann – sogar mit Vertreterinnen des Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD)Oral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 01:04:00.. Obwohl sie den geringen Einfluss der Runden Tische bedauert, betrachtet Zekina sie daher bis heute als positives Beispiel, wie Realpolitik funktionieren könnte.Oral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 01:05:30.

Im Mai 1990 stehen die Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung an (dem Ostberliner Äquivalent des Abgeordnetenhauses). Mithilfe eines eigens ausgehandelten Wahlbündnisses, das sie rückblickend auch als fragwürdig bezeichnet, zieht Zekina für den UFV in das Kommunalparlament ein.Oral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 01:12:00. Heute erinnert sie sich nur bruchstückhaft an ihre Zeit als Stadtverordnete, als sie etwa dem Ausschuss für Gleichstellungspolitik vorsaß oder mit anderen Stadtverordneten versuchte, die Räumung der besetzten Häuser der Mainzer Straße zu verhindern. Nebenbei engagierte sie sich weiterhin bei der LilO. Das war so viel, das war so krass irgendwie, sagt sie, Da ist einem dann auch ein bisschen das eigene Leben entglitten.Oral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 01:14:30. Mit den Gesamtberliner Wahlen im Dezember 1990 wird die Stadtverordnetenversammlung aufgelöst und Zekina verabschiedet sich aus der aktiven Politik.

Gabi Zekina

Gründung der Frauenkreise

1991 schlägt Zekina neue Wege ein und gründet gemeinsam mit Sylke Stübner von der LilO das Projekt Frauenkreise . Nach den turbulenten Wendejahren sehen die beiden die neuen Berliner Förderprogramme für Frauenprojekte als Chance. Sie wollen sich nicht mehr immer dagegen stellen […] und hinweggefegt werdenOral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 01:24:30., sondern eigene Räume schaffen und gestalten. Mit ihrem Programm setzen sie vor allem auf Kunst und Kreativität. Die Frauen veranstalten Salons, Filmwerkstätten und Ausstellungen, später kommen Mädchenprojekte hinzu. Sie thematisieren den gesellschaftlichen Umbruch, Arbeitslosigkeit – ein ganz neues Phänomen, was wir gar nicht kanntenOral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 01:43:30. – und Frauenkörper. Als Sylke Stübner sich beruflich neu orientiert, übernimmt Zekina 1999 die Geschäftsführung.

1991 ist für Zekina auch in anderer Hinsicht ein wichtiges Jahr. Sie lernt ihren Partner kennen, mit dem sie wenige Jahre später zwei Kinder bekommt. Das Familienglück wird überraschend zum politischen Test. Nach der Geburt ihrer Kinder droht sie aus feministischen Zusammenhängen rausgeschmissen zu werden: als glückliche Mutter […] mit glücklicher Beziehung zu einem MannOral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 01:58:30., so Zekina. Plötzlich hatte ich das Gefühl, ich bin die Verräterin schlechthin. Ein Kind kriegen – geht ja noch. Aber dann wenigstens alleinerziehend sein.Oral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 01:58:30. Zekina ist entsetzt von den Reaktionen, überlegt sogar das Projekt aufzugeben. Obwohl sie sich schließlich dagegen entscheidet, hinterlassen die Ereignisse bleibenden Eindruck.

Gabi Zekina

Frauenkreise ab 2009

Zu Beginn der 2000er Jahre kriselt es heftig, als die Frauenkreise wegen eines Workshops, der von einer Burlesque-Tänzerin angeboten wird, in die Schlagzeilen geraten. Eine AnfeindungskampagneOral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 01:52:00. sei es gewesen, so Zekina, die dazu geführt habe, dass uns so ein Schmuddel-Image anhaftete.Oral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 01:53:30. Als Projektleiterin fühlt sie sich außerstande, offensiv zu reagieren, da sie in dieser Zeit mit ihrem dritten Kind schwanger ist. Das waren […] demotivierende Jahre, resümiert sie, unsere Arbeit war eigentlich super und wurde auch gut angenommen. Und plötzlich hieß es: Was ist denn das? […] von Leuten, die eigentlich gar keine Ahnung hatten.Oral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 01:54:30.

Nach einem Umzug der Frauenkreise im Jahr 2009 kommt der Elan zurück. Nicht allein die neuen Räume geben den Energieschub, es ist auch eine neue Ausrichtung. Wir haben angefangen, ein rassismuskritisches, intersektionales Profil zu entwickelnOral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 01:57:00., erzählt Zekina. Die Orientierung kommt nicht von ungefähr: Mein drittes Kind ist ja ein Schwarzes Kind. Das hatte natürlich auch etwas damit zu tun, dass mich dann das Thema Rassismus verstärkt beschäftigt hat und bis heute beschäftigtOral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 02:09:00., erklärt sie.

Die Mitarbeiter*innen der Frauenkreise – seit 2015 arbeitet neben Zekina auch Niki Drakos im Projekt – nehmen an Weiterbildungen und Trainings teil und öffnen die Räume gezielt für Schwarze Frauen und deren Positionierung, für Frauen of Colour, für rassifizierte Frauen, die ihre Erfahrungen darstellen.Oral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 02:29:00. Um antirassistische, feministische Bündnisse zu schaffen, ist es Zekina zudem wichtig, in Netzwerken ihre weißen Kolleg*innen zu sensibilisieren, sich den Mund fusselig [zu] reden und […] [zu] sagen: Das geht so nicht. Wir müssen rassismuskritisch herangehen, was auch bedeutet, die eigene Positionierung anzuschauen.Oral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 02:29:00. Überhaupt will Zekina Feminismus nicht mehr von Antirassismus trennen: Feminismus im wahren Sinne ist eine gerechtere Gesellschaft und eine freiere Gesellschaft, in der alle freier und selbstbestimmter leben können. Alle Menschen! Sonst ist es auch nicht feministisch, nicht aus meiner Sicht.Oral-History-Interview Zekina, Zeitcode: ca. 02:36:00.

Text
Friederike Mehl
Stand
1. Juni 2019